Der Harburger Binnenhafen im Wandel.

Wenn aus verschlafenen Industriebrachen neue Stadtviertel entstehen, merkt man das meist erst, wenn die neue Bebauung abgeschlossen ist. Dann fragt man sich, wie das wohl vorher ausgesehen hat. In der Gegend um die Harburger Bahnhofsinsel kann man diesen Prozess noch im Werden beobachten. Zum Beispiel in der alten Kammfabrik in der Nartenstraße. Ein Teil ist schon herausgeputzt und bietet hochwertige Büroflächen im Industriedenkmal. Der andere Teil ist noch ein bisschen schmutziger, aber lange nicht mehr so schwarz wie er einmal war. Da fragt sich der aufmerksame Beobachter, ob zur Denkmalpflege nicht auch gehören sollte, die Tristesse eines Industrieviertels zu bewahren. Die Mitarbeiter der Startups und Designfirmen, die vielleicht demnächst ins Industriedenkmal einziehen, werden ihre Urgroßeltern ganz zu Unrecht darum beneiden, schon früher in einem Industriedenkmal gearbeitet zu haben.

Über die alte Klappbrücke gelangt man zu dem Gelände, das sich Bahnhofsinsel nennt. Eine Insel ist es nicht mehr. Der Bahnhof, der für den Güterumschlag in Harburg eine wichtige Rolle gespielt hat, ist auch längst verschwunden und hat nur wenige Spuren hinterlassen: ein Gleis hier, ein Schuppen dort. Heute ist die Bahnhofsinsel vor allem leeres Gelände am Ufer eines verwunschenen kleinen Kanals. Sowas lockt natürlich die Stadtentwickler an wie Motten das Licht. Nicht mehr lange, bald kann man hier leben und arbeiten, wie ein Schild verspricht. Investieren kann man schon jetzt.

Der Verwandlungsprozess am Veritaskai hat längst begonnen, am Binnenhafen stehen einige architektonisch auffallende Gebäude wie zum Beispiel das Silo.

Der Kanalplatz am Lotsekanal wurde neu gestaltet, der Kai mit Zäunen gesichert. Wo früher Waren umgeschlagen wurden, ist hier ein Festplatz entstanden, sehr gut geeignet für Freiluftkonzerte. Im Kanal selbst sieht man Hausboote modernster Art, die eigentlich mit Booten nichts mehr zu tun haben. Kleine Werften und Ausbesserungsbetriebe haben sich von hier noch nicht vertreiben lassen. Ein echtes Wahrzeichen ist der Kulturkran am gegenüber liegenden Ufer. Mir persönlich wird ganz warm ums Herz, wenn ich daran denke, dass hier Bürger sich zusammengetan haben und ihre Freizeit opferten, um einen Hafenkran vor der Verschwinden zu retten.

In der Harburger Schloßstraße gibt es einiges zu sehen. Das prächtige Gebäude, das einmal die Zentrale von „Schörl’s Vereinigte Harburger Oel-Fabriken Aktiengesellschaft“ beherbergt hatte, steht gegenüber den leeren Bauplätzen, wo im Rahmen der iba 2013 „Maritimes Wohnen am Kaufhauskanal“ möglich gemacht wird. Zum Teil stehen hier noch die Zelte der Archäologen, die nach den frühesten Harburger Siedlungsspuren suchen. Einige Häuser aus alter Zeit sind erhalten geblieben, so auch der Gasthof „Zum Goldenen Engel“, der seit 1730 existiert und lange Zeit ein Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens von Harburg war.

Wenn man dort, wo die Harburger Schloßstraße auf die Lärmschutzwände der Bahnlinie trifft, nach links in die Karnappstraße geht, kann man ziemlich interessante Entdeckungen machen. Das kleine Straßenstück vor dem ChannelTower scheint fast völlig vergessen worden zu sein. So haben ein paar sehr schöne kleine Häuser überlebt und sind noch nicht zu „Denkmälern“ herausgeputzt worden. Das Lokal „Grauer Esel“ war gerade geschlossen, als ich daran vorbeiging. Die Likörfabrik Hilke von 1833 hat wohl längst den Betrieb eingestellt, nur der Dachdecker Hoppe scheint noch im alten Haus zu leben. Insgesamt erinnert mich dieses Stück Karnappstraße an verschiedene Romane, in denen stille Orte in der lärmenden Stadt beschrieben wurden, wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Hermann Hesses Steppenwolf ist nur ein Beispiel, Harry Potters London ein anderes.

Über die Fußgängerbrücke vor dem Channel Tower gelange ich zurück in die Jetztzeit. Im Gepäck ein paar Fotos von einer Gegend, die bald sicher nicht mehr wieder zu erkennen sein wird.

27. September 2013