Ein Jahr bin ich jetzt in Wilhelmsburg. Als ich herkam, hatte ich mir vorgestellt, hier Abenteuer zu erleben und eine kleine „neue Welt“ zu erkunden. Ehrlich gesagt: Genauso ist es gekommen.
Natürlich ist Wilhelmsburg ein Teil von Hamburg und unterscheidet sich nur wenig von anderen Bezirken der Hansestadt. Man muss genau hinsehen. Dann aber nimmt man sie wahr, die LKW-Schlangen, die Großfamilien, die Gruppen von palavernden jungen Männern, die Kioske, die Arbeitertrupps und eine Welle selbstbewusster Studenten nach der nächsten. Der Charme ist rauh, aber herzlich.
Manchmal denke ich, so muss sich Kreuzberg in den Siebzigern angefühlt haben, als der Bezirk noch nicht „alternativ“ war, sondern einfach er selbst. Doch zwischen Kreuzberg und Neukölln auf der einen Seite und Wilhelmsburg auf der anderen gibt es einen sehr wichtigen Unterschied. Wilhelmsburg ist kein Stadtbezirk. Es liegt zwar mitten in Hamburg, aber nicht im Stadtkern. Keine Innenstadtkarte verzeichnet uns hier, kaum ein Hamburger, der nicht hier wohnt, ist schon mal hier gewesen. Unsere kleine „Innenstadt“ ist nur ein paar Häuserblocks breit und eingezwängt zwischen Autbahn, Hafen und Gleisen. So ist ein Biotop entstand, ein städtebaulicher Libellenteich, in dem es Lebensformen gibt, die anderswo längst angepasst und ausgestorben sind.
Jetzt will die Stadt Hamburg ihre „abtrünnige Provinz“ zurückerobern. Mit Baustellen, investierten Millionen und jeder Menge PR. Wir hier – längst schließe ich mich in das „wir“ ein – beobachten das sehr kritisch. Abwarten!
24. Oktober 2011