Dicke Pötte statt Abendkarte

Wibu Hochhäuser

Natürlich ist es manchmal etwas gewöhnungsbedürftig, in Hamburg-Wilhelmsburg zu leben. Wenn ich nach einer Theaterveranstaltung im Bürgerhaus noch ein bisschen bummeln möchte und in ein absolutes Nichts zwischen Parkplatz und Autobahnauffahrt stolpere. Wenn ich ein einigermaßen respektables Restaurant suche oder wenn ich in einem der neu eröffneten Cafés den Mittagstisch ausprobieren will und dabei fast der einzige Gast bleibe. Leider brauche ich keine Spielhallen und anatolische Kulturvereine, von beidem kann unsere Elbinsel mindestens so viele vorweisen wie abends geöffnete Kioske. Diese laden dazu ein, Alkoholika in Plastiktüten ins Heim zu tragen, um im Wohnzimmer die Kneipenatmosphäre schaffen, die man im Viertel oft schmerzlich vermisst.

Haus in Wilhelmsburg

Trotzdem verliebe ich mich immer wieder in den Stadtteil und will ihn genauso haben, wie er ist. Ein ungeschliffener Diamant, der Leser möge mir dieses Klischee verzeihen, die Leserin bitte auch. Ich brauche bloß einen Sonntagsspaziergang zu machen oder mit dem Rad ein wenig die verschiedenen Ecken zu erkunden. Dann entdecke ich zum Beispiel: Verschiedene Reste alter Dörfer zwischen Hochhaussiedlungen, an die sich Pferdeweiden anschließen, die von Bahngleisen unterbrochen werden. Es gibt eine historische Windmühle und ein paar Kilometer weiter eine moderne Mühle, die Tag und Nacht brummt wie der Diesel eines Passagierschiffs. Über sehr viele Kanäle führen noch mehr Brücken. Überall ist das Wasser nicht weit, und seit der Sturmflut von 1962 bereitet man sich auf die nächste vor. Die Sammelpunkte für Evakuierungen sind deutlich gekennzeichnet. Im Norden, Osten, Süden und Westen ist die Elbe. Der westliche Teil unserer Elbinsel, eigentlich ein eigenes Häuflein Inseln, wird vom Hafen dominiert. Manch einer wohnt nur wenige hundert Meter Luftlinie von den großen Pötten, wie sie der Hamburger nennt, entfernt. Zumindest für diejenigen, die als Kinder Kapitän werden wollten, wiegt das das fehlende Großstadtgedöns mehr als auf.

Schiff

03. Dezember 2011