Eine Migrationsgeschichte von der Elbinsel.

Wibu

Ein totes Mädchen, ihr Bruder in Untersuchungshaft, weil man ihm vorwirft, einen Ehrenmord begangen zu haben: So beginnt der Roman „Kein Frühling für Bahar“, den Sabine Adatepe vor ein paar Tagen auf einer Lesung in Harburg vorstellte. Normalerweise schreibe ich ja nicht über Bücher, die ich noch nicht gelesen habe. Doch diese Geschichte spielt zum großen Teil in Hamburg-Wilhelmsburg. Schon deshalb ist sie es wert, von mir vorgestellt und auf der Elbinsel gelesen zu werden.

Die Autorin kennt sich aus in dem, was sie die Wilhelmsburger Migranten- und Flüchtlingsszene nennt. Einige Jahre hat sie hier Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Dabei konnte sie die Erfahrungen sammeln, die sie in die im übrigen frei erfundene Geschichte einfließen lässt. Interessant ist der Aufbau des Buches. Die Ereignisse werden von zwei sehr unterschiedlichen Ich-Erzählern berichtet. Zum einen ist das die Wilhelmsburger Sozialberaterin Ina, die zu Beginn des Buches von einer türkischstämmigen Frau angefleht wird, ihren Sohn in der Haft zu besuchen. Der Junge redet mit niemandem mehr, doch die Mutter ist überzeugt, dass er den Mord nicht begangen hat. Als Ina den jungen Mann besucht, wird dem Leser klar, dass die Dinge wohl nicht so einfach liegen, wie wir uns einen Ehrenmord üblicherweise vorstellen. Der andere Erzähler ist der Großvater des toten Mädchens. Die Geschichte, die er zu berichten weiß, beginnt Jahrzehnte früher mit der Verheiratung seiner Tochter, die später das Dorf verlässt und ihrem Ehemann nach Hamburg folgt. Aus diesen beiden unterschiedlichen Perpektiven zeichnet Sabine Adatepe das Portrait einer Familie in der Fremde auf dem Weg in eine Katastrophe. Wie das Buch ausgeht, wurde auf der Lesung nicht verraten.

Fast so spannend wie der Roman selbst ist der Weg, wie die Autorin zu ihrem Stoff kam. Noch bevor sie vorzulesen begann, betonte sie, dass sie natürlich nicht mit der Sozialarbeiterin Ina identisch ist und dass sie keine persönlich erlebte Geschichte aufgeschrieben hat. Woher kennt sie dann das Leben türkischstämmiger Migranten so genau? Frau Adatepe hat Turkologie studiert, lange in der Türkei gelebt und in ihren Deutschkursen in Wilhelmsburg viele Menschen und ihre Geschichten kennengelernt. So ist ihr ein Buch gelungen, das auch von den hier lebenden Almancı als authentisch wahrgenommen und weiterempfohlen wird.

Schon in den wenigen Passagen, die sie während der Lesung vortrug, wird klar, dass sie keine holzschnittartigen Figuren zeichnet, die entweder Täter oder Opfer darstellen. Vielmehr verstehen wir, welcher Logik jede der Figuren folgt. Das verleiht der Geschichte eine Spannung, der man sich nur schlecht entziehen kann.

„Kein Frühling für Bahar“ ist im Acabus Verlag erschienen und zum Beispiel hier erhältlich. Am 27.3.2014 liest Sabine Adatepe im Hamburger Laden der Büchergilde Gutenberg, eine gute Gelegenheit, die Autorin und ihren Roman kennen zu lernen.

Update vom 12.3.:

Jetzt habe ich das Buch ganz gelesen. Es hat sich gelohnt. Ich habe viele neue Einzelheiten über die Lebenswirklichkeit einer türkischen Familie in Wilhelmsburg gelernt.

06. März 2014