In Wilhelmsburg wird scharf geschossen!

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Nein, diesmal ist es nicht der Zoll. Soweit ich weiß, werden auch keine Terroristen gejagt. Die Damen und Herrn in der Warnschutzkleidung haben es auf Tiere abgesehen, die auf einer Wiese wohnen. Da stehen sie jedenfalls mit ihren Waffen und Hunden. In der Nähe von Moorwerder auf unserer Elbinsel. Am Freitag nachmittag. Die Schüsse, die ich gehört habe, klangen übrigens wie Feuerwerk.

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27. November 2015

Herbst im Hafen.

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Der Hamburger Hafen ist unter Woche Industriegelände und am Wochenende ein beliebtes Naherholungsgebiet. An einem sonnigen Herbstwochenende habe ich mich auf den Weg gemacht, um dieses „Biotop“ in ein paar Bildern vorzustellen, bevor es verschwindet.

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Was immer wieder fasziniert, ist die schiere Größe des Geländes. Der Hafen ist größer als mancher Hamburger Stadtteil. Überall findet man Alleen, kleine Wäldchen, rostige Geländer, Backsteingebäude und wilde Rosen.

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Natur und Industrie bilden zumindest für die Kamera ein friedvolles Miteinander.

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Ich kenne keinen anderen Hafen mit einem solchen Biotop-Charakter. Allerdings: Wo das Geld verdient wird, sieht es natürlich ganz anders aus. Moderne Container-Terminals sind große tischplattenflache Flächen, auf denen viele Blechkisten zu finden sind, aber kein Grashalm.

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Wo ich gerne hinfahre, findet man vor allem die alte Infrastruktur aus der Zeit vor dem Siegeszug des Containers. Viele der Flächen dämmern noch vor sich hin, wilde Rosen, Birken und andere Pflanzen erobern das Gelände langsam für sich zurück.

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Doch spätestens seit das Freihafen-Privileg aufgehoben wurde, sind alle diese von Bäumen und Sträuchern überwucherten Orte von der Auslöschung bedroht. Eine große Fläche hat die Baustelle zur östlichen Hafencity sich einverleibt. Der Grasbrook ist als Olympiagelände ausgewiesen. An anderen Stellen werden neue Industriebetriebe angesiedelt.

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Natürlich steht der Hafen weder unter Natur- noch unter Denkmalsschutz. Hier geht es um Logistik und ums Geldverdienen. Und das ist meiner Ansicht nach auch gut so. Die Hafenwirtschaft ist immer noch ein sehr wichtiger Arbeitgeber für unsere Stadt. Gerade deshalb lohnt es sich, das „Biotop“ zu entdecken, bevor es verschwunden ist.

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02. November 2015

Die kleine IBA.

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Vor ein paar Tagen tauchten auf einigen der Design-Kilometersteine im Viertel kleine Häuschen auf. Leider verschwanden sie kurz darauf wieder. Ich glaube ja, es war nach der großen IBA im letzten Jahr eine kleine IBA. Ich gehe außerdem davon aus, dass sie preiswerter war.

Hallo, lieber unbekannter Häuser-Aufsteller,  Du hast mir eine Freude gemacht. Und übrigens: Das ist die Sorte Streetart, die mir gefällt.

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30. Oktober 2014

Exotischer Reiherstieg

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Wenn Wilhelmsburger Lokalpatrioten von der Elbinsel sprechen und die wildesten Superlative zur Hand haben, traue ich mich nie so richtig, Wasser in den Wein zu gießen. In Wirklichkeit ist Wilhelmsburg natürlich nicht eine Insel, sondern viele. Der größte Inselteiler ist der Elbarm Reiherstieg, der ungefähr bei den Landungsbrücken beginnt und gegenüber vom Harburger Binnenhafen endet. Vor ein paar Tagen hatte ich das Glück, auf einer Barkasse diese Strecke zu fahren.

Im Hamburger Hafen tobt ja seit Jahren ein Strukturwandel, den man vereinfacht so zusammenfassen kann: Alle Arten von Betrieben, die früher im Hafen ansässig waren, verschwinden mit der Zeit, an ihre Stelle kommen giantische Hallen aus Wellblech, in denen Logistiker die Waren ihrer Kunden lagern, sortieren, konfektionieren, etikettieren, kommissionieren und so weiter. Außerdem übernehmen Container große Areale des Hafens, ganz so als ob sie ziegelsteinförmige Krebszellen wären.

So kommt es, dass man an vielen Stellen einen Verfall beobachten kann, der zumindest romantische Fotomotive abgibt. Manchmal sieht es so aus, als erobere die Natur sich den Hafen zurück. Und gerade am Reiherstieg kann man sich mit etwas Phantasie ausmalen, zum Herz der Finsternis unterwegs zu sein, an Bord der African Queen zu schippern oder Werner Herzog bei den Dreharbeiten zu einem Dschungelschocker zu begleiten.

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23. Juli 2014

Das LunaCenter als Stadtteil-Seismograph.

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Wie ein Stadtteil tickt, lässt sich nicht zuletzt an seinen Einkaufszentren beobachten. Oft funktionieren diese Kaufhallen wie kleine Abbilder ihrer Umgebung. Ins Alstertal Einkaufszentrum in Poppenbüttel zum Beispiel kommen die Vorortbewohner gern, weil man hier für ein Poloshirt vielleicht etwas mehr bezahlen kann als woanders. Freiwillig mehr zu bezahlen ist eine sehr hanseatisch zurückhaltende Art, anderen zu zeigen, dass man genug Geld hat, um sich über Preise keine Sorgen zu machen.

Das Mercado in Ottensen verfügt über einen Indoor-Markt, wo man seine Lebensmittel in Öko und Bio bekommt und dabei ein Schwätzchen hält wie früher auf einem Dorfplatz. Hier kann man selbst Hamburgs Bürgermeister beim Einkaufen zugucken. Zumindest konnte man das, bevor er Bürgermeister Hamburgs und damit Herr über das Gefahrengebiet wurde.

Auch in Wilhelmsburg entsteht ein neues Einkaufszentrum. Noch ist es nicht fertig. doch schon jetzt sagt ein Besuch viel über die Leute aus, die hier wohnen. Kaufkraft ist das Problem. Am S-Bahnhof Wilhelmsburg ein Geschäft zu eröffnen, das will gut überlegt sein. Mancher entscheidet sich nach reiflicher Überlegung dagegen.

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Unser Einkaufszentrum hat eine Vorgeschichte. Vor einigen Jahren gab es mal ein Karstadt in Wilhelmsburg, ein hässlicher Betonklotz, umringt von ein paar kleinen Klötzchen, in denen das Postamt, der Rossmann, die Apotheke, das Reisebüro und ein paar Dönerimbisse untergebracht waren. Als das Siechtum des Karstadt-Konzerns begann, war die Filiale am S-Bahnhof Wilhelmsburg eine der ersten, die nicht überlebten. Stattdessen bekamen wir einen Marktkauf, der unseren Stadtteil mit Käse und Fleisch, Toastern und Schüsseln, Unterhosen und Schnaps, Flachbildschirmen und so weiter versorgt.

Als dann die Stadt Hamburg über die Elbe springen wollte, entschloss sich ein Investor, hier das LunaCenter zu bauen, ein richtiges schönes Einkaufszentrum. Kein Konzern wohlgemerkt, keine ECE oder so hatte den Mut für dieses geschäftliche Risiko, vielmehr ein Herr Hans-Jürgen Schneider.

Das neue LunaCenter sollte aus dem alten Wilhelmsburger Einkaufszentrum entstehen. Der hässliche Betonklotz sollte einfach von moderner Architektur umbaut werden. Um das Ganze noch spannender zu machen, wurde der Umbau so geplant, dass die Läden nicht schließen mussten. Rossmann, der Bäcker, die Ost und der Asia-Imbiss zogen in Container um. Die kleinen Betonklötzchen wurden abgerissen, der Neubau begann. Damals hatte ich ein paar Fotos hier online gestellt.

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Im Frühjahr 2014 wurde ein Teil des neuen Gebäudes bezugsfertig. Rossmann zog als Erster ein, die Bäckerei-Kette „Nur Hier“ eröffnete ein kleines Café mit Panorama-Ausblick auf die Baustelle. Danach kamen Läden, wie sie typisch sind für Wilhelmsburg: Handyläden, ein Reisebüro, eine Änderungsschneiderei, eine Halal-Fleischerei, eine Fahrschule, ein Goldschmuck-Geschäft, ein Friseur mit dem interessanten Namen „XL-Friseur“, ein Schuhgeschäft, eine Reinigung, eine Eisdiele, ein Fachgeschäft für Hörgeräte und schließlich eine Apotheke. Zwei Tabak- und Lotto-Kioske stellen die Versorgung mit Zigaretten, Zeitschriften und Lottoscheinen sicher. Natürlich darf auch ein Nagelstudio nicht fehlen. Im Entstehen sind weitere Imbisse: Döner, Indisch und Asiatisch. Kik, Tedi, der Blumenstand und die Budnikowsky-Filiale befinden sich mit dem Marktkauf im alten Teil, also im zentralen Betonklotz. Einige Läden sind noch leer, Herr Schneider kümmert sich intensiv um die Vermietung. Ein weiterer Abschnitt ist noch Baustelle. Ende 2014 soll alles fertig sein, der Investor ist optimistisch.

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Wie schwer es für das LunaCenter ist, ein bisschen Glanz nach Wilhelmsburg zu bringen, wurde mir erst klar, als die Lokalpresse die Nachricht feierte, C&A würde hier eine Filiale eröffnen. An manchen Orten ist der Textilmarkt mit dem C und dem A wegen seines Billig-Images nicht sehr willkommen, hier wird er als Weltmarke gesehen, die unseren Stadtteil aufwerten kann. Aber zu früh gefreut, auch C&A hat noch einmal scharf nachgerechnet und kommt jetzt doch nicht.

Man hört ja viel von Gentrifizierung und davon, dass neue kaufkräftige Zielgruppen die Habenichtse verdrängen. Im LunaCenter am S-Bahnhof Wilhelmsburg ist davon bisher noch wenig zu spüren. Zum Glück?

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30. April 2014

Eine Migrationsgeschichte von der Elbinsel.

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Ein totes Mädchen, ihr Bruder in Untersuchungshaft, weil man ihm vorwirft, einen Ehrenmord begangen zu haben: So beginnt der Roman „Kein Frühling für Bahar“, den Sabine Adatepe vor ein paar Tagen auf einer Lesung in Harburg vorstellte. Normalerweise schreibe ich ja nicht über Bücher, die ich noch nicht gelesen habe. Doch diese Geschichte spielt zum großen Teil in Hamburg-Wilhelmsburg. Schon deshalb ist sie es wert, von mir vorgestellt und auf der Elbinsel gelesen zu werden.

Die Autorin kennt sich aus in dem, was sie die Wilhelmsburger Migranten- und Flüchtlingsszene nennt. Einige Jahre hat sie hier Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Dabei konnte sie die Erfahrungen sammeln, die sie in die im übrigen frei erfundene Geschichte einfließen lässt. Interessant ist der Aufbau des Buches. Die Ereignisse werden von zwei sehr unterschiedlichen Ich-Erzählern berichtet. Zum einen ist das die Wilhelmsburger Sozialberaterin Ina, die zu Beginn des Buches von einer türkischstämmigen Frau angefleht wird, ihren Sohn in der Haft zu besuchen. Der Junge redet mit niemandem mehr, doch die Mutter ist überzeugt, dass er den Mord nicht begangen hat. Als Ina den jungen Mann besucht, wird dem Leser klar, dass die Dinge wohl nicht so einfach liegen, wie wir uns einen Ehrenmord üblicherweise vorstellen. Der andere Erzähler ist der Großvater des toten Mädchens. Die Geschichte, die er zu berichten weiß, beginnt Jahrzehnte früher mit der Verheiratung seiner Tochter, die später das Dorf verlässt und ihrem Ehemann nach Hamburg folgt. Aus diesen beiden unterschiedlichen Perpektiven zeichnet Sabine Adatepe das Portrait einer Familie in der Fremde auf dem Weg in eine Katastrophe. Wie das Buch ausgeht, wurde auf der Lesung nicht verraten.

Fast so spannend wie der Roman selbst ist der Weg, wie die Autorin zu ihrem Stoff kam. Noch bevor sie vorzulesen begann, betonte sie, dass sie natürlich nicht mit der Sozialarbeiterin Ina identisch ist und dass sie keine persönlich erlebte Geschichte aufgeschrieben hat. Woher kennt sie dann das Leben türkischstämmiger Migranten so genau? Frau Adatepe hat Turkologie studiert, lange in der Türkei gelebt und in ihren Deutschkursen in Wilhelmsburg viele Menschen und ihre Geschichten kennengelernt. So ist ihr ein Buch gelungen, das auch von den hier lebenden Almancı als authentisch wahrgenommen und weiterempfohlen wird.

Schon in den wenigen Passagen, die sie während der Lesung vortrug, wird klar, dass sie keine holzschnittartigen Figuren zeichnet, die entweder Täter oder Opfer darstellen. Vielmehr verstehen wir, welcher Logik jede der Figuren folgt. Das verleiht der Geschichte eine Spannung, der man sich nur schlecht entziehen kann.

„Kein Frühling für Bahar“ ist im Acabus Verlag erschienen und zum Beispiel hier erhältlich. Am 27.3.2014 liest Sabine Adatepe im Hamburger Laden der Büchergilde Gutenberg, eine gute Gelegenheit, die Autorin und ihren Roman kennen zu lernen.

Update vom 12.3.:

Jetzt habe ich das Buch ganz gelesen. Es hat sich gelohnt. Ich habe viele neue Einzelheiten über die Lebenswirklichkeit einer türkischen Familie in Wilhelmsburg gelernt.

06. März 2014

Der Harburger Binnenhafen im Wandel.

Wenn aus verschlafenen Industriebrachen neue Stadtviertel entstehen, merkt man das meist erst, wenn die neue Bebauung abgeschlossen ist. Dann fragt man sich, wie das wohl vorher ausgesehen hat. In der Gegend um die Harburger Bahnhofsinsel kann man diesen Prozess noch im Werden beobachten. Zum Beispiel in der alten Kammfabrik in der Nartenstraße. Ein Teil ist schon herausgeputzt und bietet hochwertige Büroflächen im Industriedenkmal. Der andere Teil ist noch ein bisschen schmutziger, aber lange nicht mehr so schwarz wie er einmal war. Da fragt sich der aufmerksame Beobachter, ob zur Denkmalpflege nicht auch gehören sollte, die Tristesse eines Industrieviertels zu bewahren. Die Mitarbeiter der Startups und Designfirmen, die vielleicht demnächst ins Industriedenkmal einziehen, werden ihre Urgroßeltern ganz zu Unrecht darum beneiden, schon früher in einem Industriedenkmal gearbeitet zu haben.

Über die alte Klappbrücke gelangt man zu dem Gelände, das sich Bahnhofsinsel nennt. Eine Insel ist es nicht mehr. Der Bahnhof, der für den Güterumschlag in Harburg eine wichtige Rolle gespielt hat, ist auch längst verschwunden und hat nur wenige Spuren hinterlassen: ein Gleis hier, ein Schuppen dort. Heute ist die Bahnhofsinsel vor allem leeres Gelände am Ufer eines verwunschenen kleinen Kanals. Sowas lockt natürlich die Stadtentwickler an wie Motten das Licht. Nicht mehr lange, bald kann man hier leben und arbeiten, wie ein Schild verspricht. Investieren kann man schon jetzt.

Der Verwandlungsprozess am Veritaskai hat längst begonnen, am Binnenhafen stehen einige architektonisch auffallende Gebäude wie zum Beispiel das Silo.

Der Kanalplatz am Lotsekanal wurde neu gestaltet, der Kai mit Zäunen gesichert. Wo früher Waren umgeschlagen wurden, ist hier ein Festplatz entstanden, sehr gut geeignet für Freiluftkonzerte. Im Kanal selbst sieht man Hausboote modernster Art, die eigentlich mit Booten nichts mehr zu tun haben. Kleine Werften und Ausbesserungsbetriebe haben sich von hier noch nicht vertreiben lassen. Ein echtes Wahrzeichen ist der Kulturkran am gegenüber liegenden Ufer. Mir persönlich wird ganz warm ums Herz, wenn ich daran denke, dass hier Bürger sich zusammengetan haben und ihre Freizeit opferten, um einen Hafenkran vor der Verschwinden zu retten.

In der Harburger Schloßstraße gibt es einiges zu sehen. Das prächtige Gebäude, das einmal die Zentrale von „Schörl’s Vereinigte Harburger Oel-Fabriken Aktiengesellschaft“ beherbergt hatte, steht gegenüber den leeren Bauplätzen, wo im Rahmen der iba 2013 „Maritimes Wohnen am Kaufhauskanal“ möglich gemacht wird. Zum Teil stehen hier noch die Zelte der Archäologen, die nach den frühesten Harburger Siedlungsspuren suchen. Einige Häuser aus alter Zeit sind erhalten geblieben, so auch der Gasthof „Zum Goldenen Engel“, der seit 1730 existiert und lange Zeit ein Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens von Harburg war.

Wenn man dort, wo die Harburger Schloßstraße auf die Lärmschutzwände der Bahnlinie trifft, nach links in die Karnappstraße geht, kann man ziemlich interessante Entdeckungen machen. Das kleine Straßenstück vor dem ChannelTower scheint fast völlig vergessen worden zu sein. So haben ein paar sehr schöne kleine Häuser überlebt und sind noch nicht zu „Denkmälern“ herausgeputzt worden. Das Lokal „Grauer Esel“ war gerade geschlossen, als ich daran vorbeiging. Die Likörfabrik Hilke von 1833 hat wohl längst den Betrieb eingestellt, nur der Dachdecker Hoppe scheint noch im alten Haus zu leben. Insgesamt erinnert mich dieses Stück Karnappstraße an verschiedene Romane, in denen stille Orte in der lärmenden Stadt beschrieben wurden, wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Hermann Hesses Steppenwolf ist nur ein Beispiel, Harry Potters London ein anderes.

Über die Fußgängerbrücke vor dem Channel Tower gelange ich zurück in die Jetztzeit. Im Gepäck ein paar Fotos von einer Gegend, die bald sicher nicht mehr wieder zu erkennen sein wird.

27. September 2013

Das U.F.O. mit der fleischfressenden Pflanze.

Gestern ist ein U.F.O. bei uns am S-Bahnhof Wilhelmsburg gelandet. Das klingt natürlich erstmal unglaublich, aber uns Einwohner hat es nicht so besonders geschockt. Schließlich wird die Elbinsel schon seit langem von Lastwagen aus allen Ländern angefahren, von denen eine Straße in Richtung Hamburg führt. Von den Containerschiffen wollen wir erst gar nicht reden. Dazu kommen seit einigen Monaten jede Menge Reisebusse aus Orten, von denen man hier noch nie was gehört hat. Deren Insassen drücken sich die Nasen an den Scheiben platt, weil sie auf dem Weg zur bunten Blumenpracht der igs an sovielen bunten Menschen vorbeikommen. Klar, wo LKW, Schiffe und Busse ans Ziel kommen, ist auch ein U.F.O. nicht falsch. Aber ausgerechnet am S-Bahnhof? Da ist doch seit Jahren Dauerbaustelle!

Stutzig macht dann aber, das die Vizebürgermeisterin Hamburgs und die Umweltsenatorin bei der Ankunft Reden gehalten haben. Bei echten U.F.O.s erwartet man doch, dass alle Leute schreiend weglaufen oder so. Und dann soll das Ding auch nicht aus irgendeiner anderen Galaxie stammen, sondern aus unserem Nachbarland Frankreich. Außerdem wird es in der Presse hin und wieder auch Luftschiff genannt. Wenn das man nicht wieder so ein Teufelszeugs ist, das erst modern und menschenfreundlich daher kommt und dann doch zu Gentrifizierung und steigenden Mieten führt!

Natürlich haben wir uns das Spektakel von nahem angesehen. Die Forscher erklärten, wie wichtig Pflanzen für unser Leben sind. Freiwillige übersetzten aus dem Französischem und Kinder staunten. Dann wurde die fleischfressende Pflanze gefüttert. Zuerst entfernten die Forscher vorsichtig den Käfig, in dem die Pflanze hausen muss, seit sie vielleicht einen Hund gefressen hat. Dann seilte sich einer der mutigen Wissenschaftler ab und fütterte mit Hilfe einer Rohrzange das gefährliche Pflänzchen mit einem Stück Hering.

Ansehen kann man sich das Ganze noch bis kommenden Sonntag. Was andere über das U.F.O. zu berichten haben, liest man hier und hier.

23. August 2013

igs: Die Stille nach der Baustelle.

Wer in Wilhelmsburg wohnt, kann die Kürzel igs und IBA schon nicht mehr hören. Jahrelang wurden Straßen gesperrt oder ganz abgeschafft, Parkplätze verlegt, Parks geschlossen, die S-Bahn am Wochenende unterbrochen und Bäume gefällt. Irgendwann nahm man die beiden Kürzel nur noch als Armeen wahr, die plündernd und brandschatzend durch unser Viertel zogen. Dazu kam die ununterbrochene PR-Propaganda. Im Wochenabstand berichteten Medien, IBA und igs würden aus unserem verdreckten Ghetto endlich einen Stadtteil machen, in den sich auch Mitbürger von nördlich der Elbe trauen. Irgendwann hört man einfach nicht mehr hin. Und jetzt soll das alles fertig sein? Keine Baustelle mehr?

Die igs hat am Freitag vor einer Woche eröffnet. Der Bundespräsident hat gesprochen, und der Herr hat Regen geschickt. Ich nehme mal an, dem himmlischen Herrscher war das Wohl der Blumen wichtiger als der Bundesobergrüßaugust. Die Blumen brauchten den Regen.

Am Sonntag abend waren wir dann auf dem Gelände und haben uns mal umgesehen. Das Aufregendste war, dass es überhaupt nicht aufregend war. Die Sonne schien. Die Baustelle, die noch Stunden vor der Eröffnung in einer Welle aus Hektik und Chaos zu versinken drohte, war verschwunden. Klar, es ist noch nicht alles perfekt. Doch zumindest guckt man nicht zweimal pro Minute in alle Richtungen, um nicht von einem Bagger oder einem mit Stiefmütterchen beladenen 30 Tonner ins Jenseits gebeamt zu werden.

Stattdessen: Ruhe. Es war so gespenstisch entspannend, dass ich dankbar war, die Autos auf der Autobahn zu hören, und natürlich die Güterzüge.

Wir sind dann geschlendert und haben ein bisschen gestaunt. Ich habe ein paar Fotos gemacht. Was man eben so tut auf einer Gartenschau.

02. Mai 2013

Die Zinnwerke und ein Herzenswunsch.

Eigentlich ist Meinungsmache ja nicht die Sache dieses Blogs. Heute muss ich eine Ausnahme machen. Warum? Trotz aller wohlformulierter Reden unseres geschätzten Bürgermeisters ist der Hamburger Senat mal wieder dabei, unser schönes Wilhelmsburg zu vergesäßen. Dieser „Stadtteil im Aufbruch“, von der Presse auch schon mal „Hamburgs modernster Stadtteil“ genannt, wird vom Senat leider immer noch gern als Schmuddelecke gesehen, mehr Gewerbegebiet als Innenstadt.

So ist die Soul Kitchen, eines der interessantesten Kulturprojekte auf der Insel, für Politik und Behörden nicht so wichtig. Sie hätten statt der Veranstaltungshalle lieber einen neuen Parkplatz für einen Spediteur. Mit einem übelriechenden Industriebetrieb in der Nähe geht man einen Pakt des Teufels ein: Er darf in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten weiter seinen Kadavergeruch verbreiten, weil er mit seiner Abwärme unseren schönen neuen Energiebunker füttert.

Und jetzt die Veringhöfe: Hier wächst gerade eine Kreativcommunity heran, die genau das erfüllt, was sich die Sonntagsredner vom modernsten Stadtteil der Hansestadt wünschen – mit neuen Ideen das Viertel für besserverdienende Trendsetter attraktiver zu machen. Auf dem Gebiet der ehemaligen Zinnwerke haben sich Künstler, Kreative und kleine Gewerbetreibende niedergelassen, die Keimzellen urbanen Wandels.

Doch statt diese kleinen Pflänzchen der Hoffnung zum Blühen zu bringen, hat der Senat entschieden, das Gelände wieder zu einem Gebiet mit gesichtslosen Lagerhallen zu machen. Genauer gesagt, er will den Opernfundus dorthin verlagern. Das ist ein hässlicher Betonklotz, so groß wie ein kleines Hochhaus. Wer sehen will, wie sowas aussieht, fährt mit der S-Bahn von Altona nach Bahrenfeld und sieht sich auf der linken Seite den Fundus des Thalia Theaters an. Für mich sieht das Ding aus wie ein Schuhkarton aus Waschbeton, der so groß ist, dass ein Flugzeug reinpasst.

Ehrlich gesagt, sowas brauchen wir nicht in einem Wohngebiet, das mit Millionen aus der Steuerkasse und mit Hilfe einer Bauausstellung aufgewertet werden soll.

Bei der Eröffnung der iba hat unser Bürgermeister gesagt, die Wilhelmsburger würden sich von Herzen wünschen, dass sie mit der Barkasse vom Wilhelmsburger Rathaus zum Hamburger Rathaus fahren können. Ich glaube das ja nicht. Die Wilhelmsburger, die ich kenne, haben andere Herzenswünsche. Und bisher traut sich kein Barkassenunternehmen, eine solche Fahrt wirklich anzubieten, weil die Nachfrage offensichtlich nicht ganz so groß ist wie der Bürgermeister meint. Ich als Bürger der Elbinsel will Ihnen, lieber Bürgermeister und liebe Leser mal meinen Herzenswunsch verraten: Bitte, liebe Freie und Hansestadt Hamburg, hör auf, unsere Elbinsel als Rumpelkammer zu benutzen, wo Du alles reinstellst, was nicht im Wohnzimmer zu sehen sein soll. Stell den Opernfundus dorthin, wo er niemanden stört. Wo das ist? Frag doch mal Deine eigenen Gutachter!

PS: Informieren kann man sich auf der Website der Zinnwerke, auf deren Facebookseite und durch eifriges Googeln. Wenn man das tut, staunt man nicht schlecht, wer sich alles gegen die tolldreiste Oper solidarisierrt, die hier gerade ausgeführt wird. (Das Bild habe ich mir hier geliehen.)

28. April 2013