Gestreift und gezogen

Bewusste Streifzüge, um auf der Insel Land und Leute zu entdecken, habe ich noch nicht viele unternommen. Kaum waren alle Umzugskisten ausgepackt, wurde es erst nass, dann kalt, dann kalt und nass, schließlich sehr kalt und sehr glatt und so weiter. Wer dabei gewesen ist, weiß, was ich meine. Doch auch im Alltag, beim Einkaufen und im Bus habe ich so meine Erlebnisse, die mir das Gefühl geben, ich sei in einer anderen Stadt. Das ist gut, denn ich liebe andere Städte.

Zum Beispiel, als ich vor einer Woche eine gemütliche Kneipe suche. Das ist hier nämlich anders als auf der Nordseite der Elbe: Hier muss man sich nicht zwischen 1000 Möglichkeiten entscheiden, hier liegt die Kunst darin, Verborgenes zu entdecken. In der ersten Kneipe läuft Fussball, man sitzt auf Sperrmüll und starrt mich SEHR böse an, weil ich die Kneipentür geöffnet habe. Ich fühle mich, als sei ich in einen deutschen Kulturverein mit Bierverkauf geraten. Auf der anderen Seite der Straße hocken ein paar sehr junge Leute auf ziemlich gebrauchten Möbeln im Schaufenster eines Ladens. Da will ich mich nicht dazugesellen, ich fürchte auszusehen wie ein Vater, der seine Tochter sucht. Also weiter in ein Etablissement, das so eine Art Kitschmuseum darstellt und an dem Abend völlig ohne Gäste auskommt (von mir abgesehen). Ich trinke mein Astra in Stille, während in der Küche nebenan jemand etwas ehemals Lebendiges zerhackt.

Der Abend endet – typisch Wilhelmsburg – im Kiosk, wo eine munter alkoholisierte Diskussionsrunde im Anne-Will-Stil die Themen abhakt, die unsere Welt interessieren: Mohammed: Gott oder Mensch / Menschen: meistens ganz schlimm / Hunde: besser als Menschen / Nationen: Amis sind die Schlimmsten / TV: 1,2,3, Freddy kommt vorbei. Fernsehen live und in 3D, ich liebe es.

28. Januar 2011